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Ugetsu monogatari / Erzählungen unter dem Regenmond (Kenji Mizoguchi, Japan 1953)


Im Japan des 16 Jahrhunderts herrscht Bügerkrieg: marodierende Söldner ziehen über das Land, verwüsten Dörfer, plündern, entführen die Männer und vergewaltigen die Frauen. In den Kriegswirren gelingt es dem Dörfler Genjuro, einem Töpfer, in der entfernten Stadt seine Tonwaren zu einem guten Preis zu verkaufen, wobei er sich jedoch immerzu auf die gefährliche Reise machen muß, und so auch seine Frau und seinen noch sehr jungen Sohn zurücklassen muß. Sein Schwager Tobei hilft ihm im Familienunternehmen; auch er möchte Geld verdienen um sich eine Samurairüstung kaufen zu können, um endlich ein angesehener und stattlicher Herr werden zu können. Genjuro verliert über seinen wirtschaftlichen Erfolg immer mehr den Überblick und entwickelt sich zu einem habgierigen Geschäftemacher, der lieber sein Leben auf's Spiel setzt, als den Ofen ausgehen zu lassen, was den Brennvorgang seiner Waren unterbrechen und ruinieren würde. Auch Tobei verliert den Blick für das wesentliche, was soviel heißt wie ein kleines, aber glückliches Leben mit seiner Frau. Den beiden Frauen sind ihre etwas ärmeren, aber dafür lebendigen Männer lieber, als reiche und dafür tote.

Als die beiden wieder einmal in der Stadt sind, kommt das Unheil mit Riesenschritten auf sie zu: die adlige Lady Wakasa verdreht Genjuro den Kopf, und Tobei schließt sich einem Samurai-clan an. Ihre Frauen hätten sie diesmal besser nicht zurückgelassen, denn ihnen wird übel mitgespielt...

Im Folgenden wandelt sich der Film zu einem Schauplatz aus realistischer Gewalt (Miyagi und Ohama, die Ehefrauen), Geistererzählung (Genjuro und Wakasa), Besessenheit (Genjuro) und Groteske (Tobei). Und was für mich westlichen Filmgucker ungewöhnlich ist, nämlich die Disparatheit und die Vermischung der Genres und Topoi, das ist für den Japaner wohl ganz normal; vor allem liegt das vermutlich daran, daß "Geister" für sie nicht wie für uns in westlichen Kulturen übernatürliche und vor allem irreale, ins Reich der Fiktion und Illusion gehörige Wesen sind, die in Opposition zu so etwas wie "Realität" stehen; im asiatischen Kulturkreis ist der Geist an sich ja kulturell verankert, und tritt in unterschiedlichsten Formen bis hin zum Dämonen auf. Dieser hat auch eine starke Wirkung bis in unsere 'tatsächliche' Realität hinein: das geht weit über das angesichtig werden der Geister hinaus, es wird mit ihnen geredet, geschlafen, gestritten, und sie können den lebenden Menschen sogar töten. Und das wird akzeptiert, ohne ein Dr. Watson oder Van Helsing-Fundament aufbauen zu müssen. Und so entpuppt sich auch Wakasa als Geist einer einst unglücklichen Frau, besser: ein Dämon, der in seiner Trauer einen Bräutigam sucht. Also weniger mononoke als vielmehr yûki.
Das hat Konsequenzen für das filmische Erzählen und die daraus folgende "realistische als-ob" Bildgestaltung. Deshalb auch die Verstörung beim westlichen Rezipienten, der die Geisterszenen nicht gekennzeichnet findet, wie in unserem Kulturkreis üblich. Nicht einmal eine dämliche unheilvolle Begleitmusik als Hinweis. Und zum Schluß kommt alles zusammen als Erzählung über menschliche Verirrung und die abschließende Frage, was denn die Realität ausmacht, wenn man die Augen aufmacht und Dinge sieht. Dinge, die andere vielleicht nicht sehen können. Die sie aber akzeptieren würden, könnten sie das.

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