Direkt zum Hauptbereich

Haruki Murakami : Afterdark (2007).

 Der letzte von mir gelesene Roman Haruki Murakamis war Kafka am Strand. Der hatte streckenweise noch durchaus gefallen können mit seinem ansprechenden Themenmix aus Roadmovie, Adoleszenzthematik und Bibliotheksmystik. Doch starke Abnutzungserscheinungen machten sich breit: man kannte das alles mittlerweile aus zahlreichen Vorgängern. Und das Gefühl, weshalb man einen Murakami liest –also genau dieses ich-will-einen-Murakami-lesen-Gefühl- fühlte sich schon bald taub und leblos an während des Lesens; in etwa so, als ob man Weihnachten feiert und sich auch darauf gefreut hat, aber plötzlich ist doch alles wieder total langweilig und die Geschenke sind so unoriginell, daß man sich fragt, was sich die Leute dabei eigentlich gedacht haben. Schlechte Ausbeute. So ging es mir mit Kafka.

 Murakamis Kurzgeschichten habe ich gelernt zu boykottieren - außer denen aus After the Quake bündeln sie das, was ich an Murakami schlecht finde. Schnell hingerotzte Teeniegeschichten für das Emoherz, irgendwo zwischen Loner-tum, pseudointellektuellem Popkulturnamedropping und der großen Liebe. Öde und überflüssig.

 Nun also der letzte Roman des Dainipponjin: was soll man dazu sagen! Er ist sicherlich der Tiefpunkt von Murakamis Schaffen. Er ist einfach entsetzlich schlecht. Ein Roman, der sich aus verschiedenen Erzählsträngen zusammensetzt, wie das ähnlich LA Crash, Magnolia oder Robert Altmans Short Cuts für den Film realisiert haben. Murakamis übliche Strategie, die er in jedem Langtext durchexerziert – das stete Abwechseln der beiden Erzählstränge – wird hier aufgestockt zu dreien. Durch diese Collagentechnik versucht er einen Eindruck der Ereignisse einer (1) Nacht wiederzugeben – und natürlich sind die Geschichten lose verknüpft.

 Zusammengehalten werden die Stränge durch eine übergeordnete Erzählerinstanz: eine Tokyo überfliegende Kamera, die je nach Kapitel das entsprechende Bild aufzoomt, sodaß man wieder in der anstehenden Geschichte landet. Nun gibt es ja ein weltbekanntes Beispiel für einen Roman mit beobachtender Kamera: La Jalousie von Alain Robbe-Grillet, der eindrucksvoll vorgemacht hat, wie man im Nouveau Roman so einen Blick authentisch realisieren kann und zugleich einen Krimiplot miterzählt. Von dieser qualitativen Meßlatte ist Murakami jedoch -leider- meilenweit entfernt. Das scheitert schon daran, daß er den Kamerablick zu einem kommentierenden Erzähler ausbaut, was nicht nur enorm nervig ist, formal falsch angelegt und schon technisch überhaupt nicht möglich ist. Eine absurde Konstruktion, die er anwendet. Eine ärgerliches Vorgehen zudem.

 Potenziert wird die Lage durch die äußerst nervige Art des Kamera-Erzählers, alles erklären zu müssen, was er sieht, und so dem Leser jede Art Eigenleistung abzunehmen. Was für ein unglaublicher Quatsch! Hätte er die drei Erzählstränge einfach als Kurzgeschichten publiziert, dann wäre das eine halbwegs vergnügliche Lektüre über eine entstehende Liebe, einen Mißbrauch und einen J-Horror induzierten Mystikquatsch geworden. So aber muß man beschämt das Buch zur Seite legen und schüttelt mißmutig den Kopf. Man kann sich kaum vorstellen, daß der Autor von The Wind-Up Bird Chronicle, Wild Sheep Chase oder Hard-Boiled Wonderland diesen Schmarrn produziert hat. Wegtreten!

Michael Schleeh

***
 

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal...

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

The Barefooted Youth / 맨발의 청춘 / Maenbale-ui cheongchun (Kim Ki-deok, Südkorea 1964)

" I am just a street thug with no skills whatsoever! " (Doo-soo) Der Straßendieb Jo Doo-soo (Shin Seong-il) lebt in einem ärmlichen Stadtviertel und erledigt niedrige Jobs für einen lokalen Bandenchef. Bei einem Auftrag gerät er in einen Raubübefall: ein paar Gauner beklauen und bedrängen zwei unschuldige Mädchen auf ihrem Weg durch die Stadt. Doo-Soo geht dazwischen und sieht sich plötzlich mit den Anführer in einen Messerkampf  verwickelt. Er kann ihn zwar besiegen, wird dabei aber selbst verwundet. Als anschließend eines der Mädchen zu einem Krankenbesuch vorbeikommt um sich für die Hilfe persönlich zu bedanken, scheinen sich die beiden auf Anhieb sehr gut zu verstehen. Doo-soo und die Diplomatentochter Joanna (Eom Aeng-ran) verlieben sich schließlich in einander und müssen sich gegen die Anfeindungen der Umwelt durchsetzen - sowohl was die Gangsterorganisation betrifft, der er angehört (sein Boss sieht aus wie ein koreanischer Edward G. Robinson), als auch gege...