Direkt zum Hauptbereich

Ninjo kami fusen / Humanity & Paper Balloons (Sadao Yamanaka, Japan 1937)


Spätestens seit Yoji Yamadas (TWILIGHT) SAMURAI-Trilogie ist man ja etwas sensibler geworden für die Belange und Probleme, die sich den herrenlosen Samurai der Edo-Zeit gestellt haben; denn nicht alle wurden zu gewissenlosen Streunern und Killern á la Ryunosuke aus SWORD OF DOOM, Okami Itto aus LONE WOLF oder Samanosuke aus Hideo Goshas TANGE SAZEN. Völlig vergessen hatte man den Familienvater, den Ehemann, den sanftmütigen Samurai, der immer noch an Ehre glaubt, an ein moralisches Miteinander. Yamada hat einem das mit seinen drei tollen, konservativen Filmen ins Bewußtsein zurückgeholt.


Umsomehr ist man dann für die Probleme der Samurai in HUMANITY sensibilisiert, die in einer Gesellschaft leben, in der die Ehre wenig gilt, in der das Geld regiert und derjenige das sagen hat, der sich am besten durchsetzen kann. Deutlich wird das gleich in der Eröffnungsszene, in der ein Samurai gefunden wird, der sich aus Verzweiflung, aus Armut, erhängt hat. Die Bewohner des Viertels beklagen den Verlust, und vollziehen die Totenwache, die dann allerdings in ein Trinkgelage mündet, und den Ton des Films festschreibt: humorvoll, komödiantisch vor dem Hintergrund eines tragischen Daseins. Dadurch erreicht der Film eine Form der tiefen Menschlichkeit, wie man sie aus Yasujiro Ozus Filmen kennt. Die eigentlichen Hauptfiguren, die sich erst nach und nach aus diesem Gesellschaftsportrait herauskristallisieren, sind der Friseur Shinza, der illegale Glückspiele durchführt, sowie der Ronin Matajuro Unno, der verzweifelt bei einem Clanvorsteher vorzusprechen sucht, um Arbeit oder Unterstützung zu bekommen. Dort wird er aber permanent abgewiesen. Seiner Frau, mit der er Papierlampions faltet um die finanzielle Situation aufzubessern, verheimlicht er dies, da er sie vor der Grauenhaftigkeit ihrer Lage bewahren will. Leider entscheidet er sich hier aus übertriebener Rücksichtnahme falsch; die Wahrheit wäre wohl besser gewesen. Als sie hinter seine fortwährenden Lügen kommt, wählt sie ein sehr drastisches Mittel, um sich und ihren Mann von den Leiden zu erlösen.


Dieser in fantastischen Bildern erzählte Film des leider früh verstorbenen Filmemachers Yamanaka zählt zu den großen Klassikern des japanischen Kinos und er kann wohl in einem Atemzug mit Ozu, Mizoguchi oder Kobayashi genannt werden. Das Ineinanderweben der menschlichen Tragödie, die sich im täglichen Überlebenskampf manifestiert, wird hier mit einem feinen und leichten Komödienton verknüpft, sodaß man gebannt und gerührt, tief bewegt dem Geschehen beiwohnt. Die Inszenierung des eng verwinkelten Armenviertels, mit seinen schmalen Gassen und verbauten Behausungen, übt keinen geringen Reiz auf die visuelle Schönheit des Filmes aus und läßt den Schauplatz zu einem handlungstragenden Symbol der komplizierten Lebenswege seiner Bewohner werden. Ein wundervoller Film.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

Sleep Has Her House (Scott Barley, GB 2016)

"And the dark is always hungry." (Scott Barley) Scott Barley's apocalyptical drone-room of a film is a fascinating experience. Not only a film to watch, but definitely one to listen to, as the audio is almost as impressive as its pictures. Very often, the images are blurred in the beginning, but with the slightest movements of the camera, the picture does get clearer, more concrete, focused, but sometimes nothing happens at all, too. Nevertheless, the film feels very dynamic - it's a weird state of an inherent Bildspannung , a suspense (and tension that might rip apart) inside of the images themselves that keeps you totally immersed.  Static movement  of the camera might be the term of technique to describe the process of capturing those dreamlike images, which are almost incomprehensive at first, always hard to grasp. As there seems to be no plot, no dialogue, no actors, there are none of the usual narrative anchors that guide us through a film, or movie. O...

Aido: Slave of Love (Susumu Hani, Japan 1969)

Here are some pictures I took during a private screening of Susumu Hani's extremely rare and seldom seen feature film  AIDO - SLAVE OF LOVE , which is the movie Hani made after the famous NANAMI: INFERNO OF FIRST LOVE. The film is beautifully shot, completely absorbing and structurally abandoning all narrative consensus - it is somehow - for most of the time - a subjective trip into the mind of the protagonist Shusei (Kenzo Kawarasaki). As you can asume, a dreamlike state predominates the film; and with its' devotion to extensively focussing on the details of the body while making love, presented in detailed close-ups, aswell as its' beautifully daring setpieces, it reminded me to some extent of Toshio Matsumoto's experimental oeuvre, as for example in his short film PHANTOM . AIDO was submitted to the competition-section of the 19th Berlin International Film Festival (aka Berlinale) - a fact that is quite astonishing, if you consider the direction the main section of ...