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Re-Cycle / Gui Cheng (Pang Brothers, HK 2006)


Tsui Ting-Yin (Lee Sinje) ist eine berühmte Autorin in ihrem Lande, die aber mit einer Schreibblockade zu kämpfen hat. Daß ihr Verleger der lesehungrigen Anhängerschaft bereits ein neues Werk ("Re-Cycle") versprochen hat, war ein Fehler: dies setzt sie natürlich noch mehr unter Druck. Daß das neue Buch ein Fantasy-Roman werden soll, ist ihr bereits klar, doch hat sie enorme Probleme bei der Gestaltung der Protagonistin; und wie es der Geisterfilm so will, verschwimmen immer mehr die Grenzen zwischen Realität und Geisterwelt. Auslöser ist in unseren modernen Zeiten natürlich der Computer. Denn jedes Mal, wenn sie etwas Geschriebenes löschen möchte, scheint sich diese in die Realität gesetzte Fiktion zu wehren und aufzubegehren.
Der klug konstruierte Plot verhandelt also gleich mehrere interessante Aspekte: Fiktion und Realität, Literatur als (Sprach-)Speicher gegen das Vergessen, ganz generell Vergessen des Vergangenen und Verdrängen des Ungewollten. Dabei geht der Film so vor, daß er in die Vorstellungswelt der Autorin vordringt, und diese als quasi-reale erstehen läßt. Dies mag dem einen als großer Humbug erscheinen, dem anderen als Quell und Möglichkeit kreativer Tausendfaltigkeiten. Und daß es nicht (nur) um Schocks geht, habe ich oben bereits anzudeuten versucht. Es geht um 'Die Vergessenen', egal welchen Bereichs. Das abgetriebene Kind, den toten Großvater, die verdrängten Träume und Wünsche. Hier wird der Film konkret und realisiert dies alles als Landschaft, in der die Heldin herumspaziert. Wobei man eher von Flucht sprechen muß, denn das Verdrängte ist häufig Böses, oder zumindest: bös Gewordenes, das sich nicht mit einer Entsorgung am sprichwörtlichen Rande der Welt abfinden will. Her geht es nun drunter und drüber, doch macht das überbordend barocke CGI-Setdesign nur den Weg frei zur Reflektion; keineswegs ist das alles ein willkürlich angehäuftes Horror-/Fantasy- und Actionspektakel, das sich auf seine Schauwerte reduzieren läßt, denn inhaltlich passen die Erlebnisse der Heldin in der 'Parallelwelt' sehr gut in die Koordinaten Verdrängung/Fiktion und Alptraum/Realität. Lediglich der sehr stark eingesetzte Score hat mich etwas genervt; und das immer dann, wenn dieser derart dominant wird, daß man nicht mehr richtig unterscheiden kann, ob das nun zur Figurenhandlung gehört, oder zur akkustischen Zusatzunterstützung (extradiegetisch). Aber daß sich auch hier die festen Kategorien auflösen, ist wahrscheinlich nur konsequent. Die Kamera ist die ganze Zeit über sehr dynamisch, und scheint sich nicht mit bloßem 'Abfilmen' zufriedenzugeben; eine markante Szene: als die Heldin in die neue Welt tritt, durch eine Tür (!), steht sie auf einer Art Balkon, von dem eine halbverfallene Treppe hinab führt. Um die Höhe des riskanten Abstiegs ins Bild zu fangen, fährt die Kamera zurück und streift knapp über eine weitere Treppe, die quasi im Rücken der Kameraposition weiter hinten von einem ähnlichen Balkon ebenfalls hinab führt. Als die Kamera fast diese Treppenstufen streift, gibt es ein scharfes metallenes Geräusch mit anschließenden Rauschen. Hier setzt also die Kamera und ihre Bewegung selbst eine realitätsrelevante und tatsächliche existierende Handlung in die Welt. Stellt sich natürlich die Frage, wie so etwas zu beurteilen ist....
Und am Ende, nach dem Twist, zeigt sich: die Differenz zwischen Geist und Mensch ist oft gar nicht so groß. Überraschend schön.

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