Es ist Nacht, es regnet. Eine junge Frau und ein Mann im Anzug küssen sich wild und eng umschlungen in einem Auto, der Regen prasselt gegen die Scheiben. Sie entscheiden sich, zu ihm zu fahren. Dort angekommen wundert sie sich, dass die Wohnung so spärlich eingerichtet ist: außer dem Bett im Schlafzimmer gibt es praktisch keine Möbel. Nach einer ersten schnellen Runde Körperlichkeit und in der Ermattung registriert die Frau nicht, dass sie mittlerweile gefesselt ist und geknebelt wurde. Der Mann, ein typischer japanischer Salaryman im Anzug mit Schlips und Brille, nimmt seinen Gürtel zur Hand - später ist es eine Peitsche - und verdrischt die panisch davonkriechende, malträtierte Frau. Erste blutige Striemen sieht man auf der Haut, aber das ist erst der Auftakt...
THE EMBRYO HUNTS IN SECRET gilt gemeinhin als einer der kontroversesten Filme Wakamatsus, des "berühmt-berüchtigten" Pink-Filmers, dessen Karriere im Filmbusiness Anfang der Sechziger begann und bis heute anhält (er war etwa mit CATERPILLAR auf der Berlinale 2010 vertreten, der dort im Wettbewerb lief und dem türkischen BAL / HONIG unterlag (dennoch Silberner Bär für die beste Darstellerin)). Verständlich, denn im Anschluss an diese Eröffnung wohnt man beinahe den gesamten Rest des Filmes bis hin zum dramatischen Ende der Misshandlung einer Frau bei, die dieser derangierte Angestellte verbricht. EMBRYO ist der erste Independent-Film Wakamatsus, den er mit seiner eigenen Produktionsfirma realisierte, nachdem er enttäuscht Nikkatsu verlassen hatte. Diese hatten sich bei der Veröffentlichung seines Filmes SKELETON IN THE CLOSET aka. SECRET ACT WITHIN FOUR WALLS (1965) allzu zurückhaltend verhalten, obwohl der Film auf der Berlinale enthusiastisch aufgenommen worden war - man hatte schlicht zuviel Respekt vor der "Eirin" (Eiga Rinri Kanri Iinkai), dem Pendant zur Bundes(zensur)prüfstelle, welche unter dem Druck der amerikanischen Okkupation 1949 gegründet worden war. Außerdem schien man sich dafür zu schämen, dass nun ausgerechnet ein Sexfilm der Exporterfolg japanischer Kultur sein sollte.
Schon auf den ersten Blick erkennt man, dass EMBRYO kein Film von der Stange ist. Neben dem gewohnt hohen Niveau der Bildgestaltung ist auch die thematische Ausarbeitung nicht das gewöhnliche Einerlei des Sexfilms. Denn die in regelmäßigem Abstand eingestreuten Sexszenen, die das Genre, die Studiobosse und das Publikum verlangen, zerfliessen hier in einen einzigen langen Akt der Erniedrigung. Allerdings fällt recht schnell auf, dass der Akt der Penetration ausfällt, es ist vielmehr die physische Gewalt, die im Vordergrund steht. Breitbeinig steht der Mann da, Peitsche in der Hand, und schlägt auf die wehrlose Frau ein. Es ist mir kaum vorstellbar, dass diese Machtphantasie tatsächlich eine sinnliche Erregung auslösen könnte. Außerdem klingt bereits ein Element an, das den gesamten Film umzukrempeln beginnt: denn mit zunehmender Laufzeit wird immer offensichtlicher, dass der Mann der Getriebene ist, und die Frau die Oberhand behält, gleichwohl sie missbraucht wird. Das sage ich nun freilich nicht, um die Gewalt zu relativieren (falls das jemand unterstellen sollte), sondern um den Blick dahin zu lenken, wo Wakamatsu subversiv mit den Standards seines Genres bricht. Wo er eigene Wege geht, wo es politisch wird, psychologisch, sozial. Wo man zwar auf der Oberfläche eine Handlung wahrnimmt, die allzu leicht simplifiziert und reduziert wird auf das vordergründig Sichtbare, die dahinterliegende Ebene aber gerne ignoriert wird. Denn dann würde man feststellen, dass gerade darin die Qualität des Plots liegt im letztlich doch sehr engagierten Kino Wakamatsus. Die Frau ist zwar das Opfer, doch ist der Mann eindeutig krank. Selbst das Opfer einer herrschsüchtigen Mutter, kann er es nicht ertragen, dass seine eigene Frau ein Kind bekommen möchte. Und obwohl er sich hat kastrieren lassen, lässt sie nicht ab von diesem Wunsch (diese Szenen aus der Vergangenheit werden immer wieder in assoziativen Rückblenden eingefügt). Bis seine Frau schließlich die In-Vitro-Fertilisation bemüht, um mit ihm (!) das Kind aufzuziehen. Eine Schmach (der konkurrierende Phallus in Form des Reagenzglases), die er nicht ertragen kann (er wirft es an die Wand) - daraufhin verlässt sie ihn. Die aktuelle Handlung des Filmes lässt sich nun als Kompensation auf diese biographische und selbst zugefügte "Entmännlichung" lesen (ein also letztlich nie überwundener Ödipuskomplex, worauf auch seine Kastration verweist), wodurch auch der Gebrauch des Gipsabdrucks des Gesichts seiner Frau seinen Sinn erhält: das Opfer soll diese Maske tragen, sie soll zur ehemaligen Frau werden (vielleicht sogar zur Mutter?) und stellvertretend für diese seine Rache ertragen. Als sie dies erkennt, er psychisch zusammenbricht und seinen Kopf in ihren Schoß hinein bettet (!), schließlich zu weinen beginnt, da kommt es zum großen Finale, in dem die Frau dem patriarchalischen Mann zeigt, wie tief das Messer dringen kann. In den Bauch hinein freilich, dorthin, woher beim Mann noch nie ein Leben entsprang.