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Nishi-Ginza Station (Shohei Imamura, Japan 1958)


NISHI-GINZA EKI-MAE hat es sehr schwer in der internationalen Filmkritik. Vorausgesetzt, er wird überhaupt besprochen. Dieser generell als Nebenwerk abgetane frühe Film sei eine Auftragsproduktion, was natürlich für den (westlichen?) Kritiker schonmal der Grund allen Übels darstellt. Immer dem Geniegedanken anhängend, mindestens aber dem Auteurbegriff folgend (den ich ebenfalls zumeist vertrete), könne der Film ja nichts sein, er sei ein ferngelenktes Industrieprodukt und nicht der Genialität des libre penseurs entsprungen, des Freidenkers. Dabei wird zum einen übersehen, dass beinahe die komplette japanische Filmgeschichte eine Studiofilmgeschichte ist; eine, in der der überwiegende Großteil der Filme in Abhängigkeitsverhältnissen entsteht, da alle Beteiligten am Film Angestellte eben jener Studios sind (wodurch sich auch der enorme Output der japanischen Regisseure erklärt); zum anderen wird ausgeblendet, dass die Vorgaben, die Imamura einzuhalten hatte, lediglich die Einbindung eines Songs des Sängers Frank Nagai betraf, der dann auch im Film als Erzählerfigur auftritt und das Geschehen kommentiert. Dreimal sollte man ihn zu hören bekommen, am Anfang, in der Mitte und am Ende. Ansonsten habe Imamura freie Hand gehabt. Nun, das sind keine besonders strengen Auflagen, wie ich finde, doch Imamura hat selbst diese Vorgaben nicht erfüllt - der Song wird nie in toto gespielt. Nikkatsu war sauer - Imamura muss es tierisch gestunken haben, einen Film als Vehikel für einen Popsong drehen zu müssen..

Die Komödie um den duckmäuserischen und tagträumerischen Ehemann Jutaro, der unter der Knute seiner geschäftlich erfolgreichen, autoritären dabei aber liebevollen Frau Riko steht, und der seine Libido wiederentdeckt, wurde als "conspicuously conservative vision" (Tony Rayns) bezeichnet. Und ganz am Ende, da muss man freilich zustimmen, gelangt der Gatte nach all den Verführungen, Turbulenzen, komödiantischen Verwicklungen zurück in den Hafen der Ehe, die somit als stabile Form der Lebensführung bestätigt wird. Allerdings bestünde durchaus die Möglichkeit, den Fokus auf die Brüche zu legen: die Unzufriedenheit desjenigen, der in einer Ehe gefangen ist und ausbrechen will, die Hoffnung auf ein freizügiges erotisches Abenteuer, das mit dem Betrug des Ehepartners einhergeht, die Verschiebung im Geschlechterverhältnis, in der die Frau das Sagen hat und der Mann wie ein Milchbubi hinterherläuft und sich in tagträumerischen Südseeabenteuern verliert. Das alles freilich im Gewand der Komödie, die durchaus mit erzähltechnischen und formalen Spezereien garniert ist - ohne dass er hier, es ist erst sein zweiter eigener Film, die Größe seiner späteren, bekannten Filme erreichen würde.

Eine der schönsten Szenen ist zweifellos die, in der die Gattin bereits zur Sommerfrische verreist ist, Jutaro die Geschäfte in der Apotheke regeln soll, und dabei natürlich überhaupt nichts auf die Reihe bekommt. Als running gag betreten immer wieder eilig Geschäftsleute den Laden und fragen nach der Frau Geschäftsführerin, deren Abwesenheit aber vom Personal wiederholt bestätigt wird. Mit dem Gatten zu sprechen, der nun am Platz seiner Frau sitzt, kommt niemandem in den Sinn - die Herren machen auf dem Absatz kehrt und unter dem Verspechen, bald wieder zu kommen, hetzen sie zum nächsten Termin. Da blickt der Gatte sauertöpfisch vor sich hin, und selbst das angereichte Getränk, das er von der Angestellten gereicht bekommt (nach einem genau entworfenen Ernährungsplan seiner Frau) kann ihm nicht mehr schmecken.

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