Direkt zum Hauptbereich

Mother Joan of the Angels / Matka Joanna od Aniolow (Jerzy Kawalerowicz, Polen 1961)

Eine Abtei im Nirgendwo, an einem ortlosen Ort. Über die Felder ein alter Vierkanthof. Dorthin reist der Jesuitenpater Jozef Suryn, um die vom Teufel besessenen Nonnen des Klosters zu exozieren. Diese verhalten sich auf gänzlich ungebührliche Weise: sie tanzen, lachen, essen Fleisch und scheinen auch erotischen körperlichen Gelüsten nachuzugeben. Suryn kommt an die Grenzen seiner Belastbarkeit und an die seiner Existenz. Um die Dämonen von Johanna abzuziehen verfällt er auf den Gedanken, selbst zum Hort des Bösen zu werden. Als er das Böse an sich zu binden sucht, muss er eine Übeltat begehen und erinnert sich des Beiles im Stall des Gasthofs...



Kawalerowicz' Film ist ein Meisterwerk. Nicht nur ist es visuell atemberaubend und formal beeindruckend, sondern auch äußerst furchteinflößend. Und das mit ganz geringen Mitteln. Ohne großes Budget und gänzlich ohne Special Effects wird hier eine dermaßen klaustrophobische und bedrohliche Atmosphäre aufgebaut, die ihresgleichen sucht.



Die Räume, Hallen und labyrinthischen Gänge der Abtei, das stechende Tageslicht, die Armut der Landbevölkerung, die Selbstkasteiungen eines unmenschlichen Glaubensgebotes, das Zurückhalten jeder Zwischenmenschlichkeit wirkt monumental in seiner bedrückenden Schlichtheit und wird im bescheidenen, aber lustvollen Leben des Gasthofs wiedergespiegelt. Nicht umsonst erscheint ein schiefes Flötenlied wir eine Befreiung.



Warum der Film kontextuell auf diesen Asienblog paßt - und das nicht nur als europäische Ausnahme, die ich mir ab und an gestatte - ist seine filmhistorisch wichtige Markierung in der japanischen Kinohistorie: Matka Joanna od Aiolow ist der allererste Film, den die ART THEATRE GUILD in Rahmen ihres Kunstfilmprogramms als Verleiher europäischer Kunstfilme aufführte. Vermutlich -das konnte ich nicht verifizieren (zu Beginn verfügte die ATG über 10 Spielstätten in verschiedenen Großstädten des Landes)- muß man sich das so vorstellen, daß bei der allerersten Aufführung am 20. 04. 1962 im Shinjuku Bunka in Tokyo das Licht ausging, der Projektor zu laufen begann, und dieser Film eine der wichtigsten, unabhängigen Filmkunstprojekte weltweit einläutete.



Kawalerowicz hatte mit seinem Film 1961 bereits den Jurypreis in Cannes eingeheimst, weitere Meriten sind nachlesbar. Ich empfehle den Text bei senses of cinema zum Einstieg.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

Aido: Slave of Love (Susumu Hani, Japan 1969)

Here are some pictures I took during a private screening of Susumu Hani's extremely rare and seldom seen feature film  AIDO - SLAVE OF LOVE , which is the movie Hani made after the famous NANAMI: INFERNO OF FIRST LOVE. The film is beautifully shot, completely absorbing and structurally abandoning all narrative consensus - it is somehow - for most of the time - a subjective trip into the mind of the protagonist Shusei (Kenzo Kawarasaki). As you can asume, a dreamlike state predominates the film; and with its' devotion to extensively focussing on the details of the body while making love, presented in detailed close-ups, aswell as its' beautifully daring setpieces, it reminded me to some extent of Toshio Matsumoto's experimental oeuvre, as for example in his short film PHANTOM . AIDO was submitted to the competition-section of the 19th Berlin International Film Festival (aka Berlinale) - a fact that is quite astonishing, if you consider the direction the main section of ...

Sleep Has Her House (Scott Barley, GB 2016)

"And the dark is always hungry." (Scott Barley) Scott Barley's apocalyptical drone-room of a film is a fascinating experience. Not only a film to watch, but definitely one to listen to, as the audio is almost as impressive as its pictures. Very often, the images are blurred in the beginning, but with the slightest movements of the camera, the picture does get clearer, more concrete, focused, but sometimes nothing happens at all, too. Nevertheless, the film feels very dynamic - it's a weird state of an inherent Bildspannung , a suspense (and tension that might rip apart) inside of the images themselves that keeps you totally immersed.  Static movement  of the camera might be the term of technique to describe the process of capturing those dreamlike images, which are almost incomprehensive at first, always hard to grasp. As there seems to be no plot, no dialogue, no actors, there are none of the usual narrative anchors that guide us through a film, or movie. O...