Direkt zum Hauptbereich

Die Nacht des Mörders / Japanese Summer: Double Suicide (Nagisa Oshima, Japan 1967)


Die sexuell enthemmte junge Dame Nejiko (Keiko Sakurai) streift mit dem schüchternen Deserteur Otoko (Kei Sato)  herum - sie ist stets auf der Suche nach sexuellen Abenteuern, er ist seines Lebens überdrüssig und sucht jemanden, der ihn zu töten bereit ist. Beide haben aber zunächst wenig Erfolg, auch wenn Nejiko auf der Brücke ihr Höschen auszieht und den Schwimmern im Fluss nachwirft. Das gibt zwar Gejohle, man schwimmt aber lieber weiter. Dann geraten die beide in die Hände von Anarchisten, die sich in einen Unterschlupf zurückgezogen haben um ihre nächste Aktion zu planen. In ein Verlies eingesperrt, lernt man die anderen Gefangenen kennen, und die beiden Protagonisten scheinen zu bekommen was sie suchen: Sex und einen Killer. Doch dann verläuft alles wieder ganz anders...

MURI SHINJU: NIHON NO NATSU ist ein selten gesehener Film Oshimas. Zu Unrecht, meine ich. Freilich gehört er zu den weniger zugänglichen Werken des "Meisterregisseurs" (so die mittlerweile leider eingestellte Reihe bei Polyfilm) - er ist spröde, elliptisch, schrill und düster zugleich, er erklärt wenig bis nichts. Es ist also in großem Maße der Zuschauer selbst gefragt, sich aus dem Gesehenen einen Zusammenhang zu denken in dieser doch einfachen, aber grotesken Geschichte. Vor allem in Filmmitte, in der Kerkerszene, ist er sehr kompakt, spielt nur in diesem einen Raum; man befindet sich wie auf einer Theaterbühne. Das erinnert ein wenig an Kurosawas NACHTASYL oder an DIE SIEBEN SAMURAI, wenn die Bauern ratlos und nicht mehr weiter wissend ihre Zeit in der Unterkunft totschlagen. Bevor der Film dann am Ende völlig aus den Fugen gerät und in einer actionreichen Verfolgung samt wilder Schießerei endet.

DIE NACHT DES MÖRDERS dürfte mit seiner offenen Narration und seinem Stilwillen, dem die Japanische Nouvelle Vague eingeschrieben ist, so manchen Betrachter verstört zurücklassen; zugleich aber ist offensichtlich, wie dieser Film in seiner umwerfenden Bildgestaltung, seiner düsteren Atmosphäre und seiner Faszination zwischen Eros und Thanatos, verkörpert durch die beiden Protagonisten, in den Bann zu ziehen vermag. Ein Film, der sich nur schwerlich als Thriller klassifizieren lässt, denn man könnte mit gleichem Recht von einer apokalyptischen Dystopie sprechen, die in ihrem Finale nochmals deutlich politisch wird, zugleich offen bleibt in ihrer Aussage und somit zur Diskussion anregt (von der Polizei wird ein amerikanischer Deserteur und Anarchist gejagt, der mit dem Gewehr herumballert, und zu dem dann die ehemaligen Gefangenen "überlaufen"). Selbst die Polizisten wissen nicht so richtig, wie sie sich verhalten sollen und so bleibt der Film für Minuten in einem Schwebezustand, bevor dann der Griff zur Waffe als rebellischer Akt und die Liebesvereinigung zwischen Nejiko und Otoko Klarheit im Kugelhagel schafft. Mit den LOVE SUICIDES AT SONEZAKI von Chikamatsu, die von Kenji Mizoguchi und auch von Yasuzo Masumura bearbeitet wurden, hat dieser Film nicht viel gemein. Aber das Motiv des Doppelselbstmords aus Liebe ist ein thematisch weites Feld in der japanischen Kulturgeschichte. Nagisa Oshimas Film jedenfalls sollte man sich unbedingt anschauen.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

No Blood Relation / Nasanunaka (Mikio Naruse, Japan 1932)

Der etwa ein Jahr vor Apart from You entstandene Film Nasanu naka , Naruses erster Langfilm, ist unter den noch verfügbaren Stummfilmen eine deutlich ungehobeltere Produktion, als dessen recht bekannter Nachfolger. Schon die Eröffnungssequenz ist ein richtiger Tritt vor die Brust. Mit schnellen Schnitten und agiler Kamera wird die turbulente Verfolgung eines Taschendiebes gezeigt. Bevor der Dieb später auf offener Straße, so die komödiantische Auflösung, die Hosen herunterlässt um seine Unschuld zu beweisen (übrigens sehr zum Amusement der ebenfalls anwesenden jungen Damen, die aus dem Kichern nicht mehr herauskommen). Die Eröffnung aber ist gleich ein radikaler Reißschwenk über eine Straßenszene hinweg, hinein in eine schreiende Schrifttafel mit dem Ausruf: DIEB! Hier die Sequenz: Darauf die Verfolgung des Taschendiebes durch die alarmierten Passanten, die von der Straße zusammenkommen oder aus den umliegenden Geschäften herausstürzen, alles mit schnellen Schnitten m