Dear Yoshinori,
I saw a flyer advertising your gig on the 15th. I belive it was fate. Every night, these past few weeks, you've appeared in my dreams. In every dream you play your guitar. I believe that we never should have broken up. I need to see you. I will be waiting for you before your show at the entrance of the club. I believe you'll be there.
Love, Sayaka
Und dann zerreißt Miyuki (Mami Nakamura) den Brief. Yoshinori (Kazuma Suzuki), der über ihr wohnt, spielt in einer wenig erfolgreichen Rockband und schleppt ein Mädchen nach dem anderen ab. Miyuki, die sich nach ihm verzehrt, aber zugleich nicht getraut ihn anzusprechen, durchwühlt jede Nacht seine Mülltüten und bewahrt alles auf, was ihn ihr näher bringt. Alte Klamotten, Zeitungsausrisse, gerauchte Zigarettenkippen kommen in ein Einmachglas. Oder eben Briefe, wie den obigen. Aus dem Abfall forscht sie dem Leben des Geliebten nach, konstruiert sich eine quasireale Persona, träumt sich in ein Zusammensein mit ihm, den sie täglich besser kennen lernt. Denn ihr eigener Alltag ist reichlich öde, sie verdient ihr Geld in einem Tokyoter Café, wo ihr auch noch einer der Gäste in aufdringlicher Weise nachstellt. Dann beginnt sie, den Kontakt zu suchen: sie hängt ihm Essen an die Türe, trifft sich heimlich mit seiner Ex-Freundin Sayaka (von der der obige Brief stammt), behauptet, sie habe keine Chance mehr und zieht als Beziehungsbeweis Yoshinoris alte, entsorgte Jeansjacke an. Mit seinem Shampoo aus dem Müll hat sie sich die Haare gewaschen. Und dann, in eben jenem Club, lernt sie ihn doch noch kennen.
Überhaupt wird der ganze Film von seltsamen Charakteren bevölkert: die Kollegin im Café namens Myoko ist eine sexbesessene Nymphomanin, die über die kräftigen Hüften afrikanischstämmiger Japaner doziert; der ältere Herr und Rentner, der jeden Tag zu Gast ist, muss sich ständig beweisen, indem er seine scheinbar unzähligen und spektakulär modernen Arbeitsstellen aufzählt und dem Cafébetreiber implizit vorwirft, sich mit zuwenig zufrieden zu geben; ein jüngerer Büromensch hingegen, der dann eines Nachts Miyuki zu vergewaltigen versucht, zaubert jeden Tag einen Strauß Blumen aus dem Ärmel. Miyuki wirkt dagegen beinahe normal mit ihrem Hang zur granzüberschreitenden Verehrung - wohl deswegen, da sie dies heimlich, still und für sich tut. Überhaupt ist TOKYO TRASH BABY keine laute Groteske aus dem Irrenhaus Japans, das versuchen würde durch die Anhäufung von Superlativen des Absonderlichen den Zuschauer zu überrumpeln. Im Gegenteil. Es ist ein stiller, beinahe meditativer Film, in rauer DV-Optik, der Miyukis Suche nach der Nähe eines anderen Menschen als plausibles Bedürfnis darzustellen versteht.
TOKYO TRASH BABY ist also vielmehr ein Film über das Alleinsein, über eine Jugend, der die Orientierung verloren gegangen ist. Und für die die Koordinaten der älteren Generationen nicht mehr gelten. Eine Art großstädtische Verwahrlosung offenbart sich hier innerhalb einer post-industriellen Gesellschaft, die die Glücksversprechungen eines stabilen sozio-ökonomischen Systems vergangener Zeiten nicht mehr erfüllen kann. Dies schlägt sich nieder in der Stimmung des Films, dem jede Euphorie vollkommen abhanden gekommen ist. Und die Melancholie, die den Film folglich grundiert - eben ganz ohne blumig zu sein - gibt dann schonmal den Ton für den Film an, mit dem Hiroki international noch größere Beachtung erfuhr, den großartigen VIBRATOR (2003). Ein Film, in dem sich zwei furîta-Arbeiter näher kommen, und der noch einmal eine andere Geschichte von zwei Jugendlichen erzählt, die sich als Außenseiter durchzuschlagen haben, da schon alle Türen längst verschlossen sind.
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