Direkt zum Hauptbereich

Dharam Sankat Mein (Fuwad Khan, Indien 2015)



Im indischen Kino werden relativ häufig religiöse Differenzen thematisiert. Kein Wunder, kommt es doch in der Bevölkerung immer wieder zu massiven Diskrepanzen und sogar zu blutigen Ausschreitungen, bis hin zu wirklich schrecklichen Ereignissen. Nicht so häufig kommt es vor, dass diese Diskrepanzen in einer lockeren Komödie abgehandelt werden, zudem noch vermischt mit der universell im Masala-Kino vorherrschenden Heiratsproblematik. Die beiden Liebenden können nicht zueinander finden, weil... In diesem Film ist es ungewöhnlicherweise die Vaterfigur, durch die wir die Ereignisse betrachten und nicht durch die Augen der Liebenden. Mit dem ganz speziellen Dreh, dass hier der Vater, ein Hindu, im Nachlaß seiner Mutter eine Adoptionsurkunde von ihm selbst entdeckt: er wurde als Muslim geboren und dann von Adoptiveltern als Hindu groß gezogen. Ein Schock für Dharampal (Paresh Rawal), der Muslime überhaupt nicht leiden kann und mit dem einzigen Muslim in der Nachbarschaft, dem Rechtsanwalt Nawab Mehmood Nazeem Ali Shah Khan Bahadur (Annu Kapoor, you get it!), regelmäßig im Clinch liegt. Der gute Dharam jedoch will nun seinen biologischen Vater ausfindig machen, welcher unweit in einem Altersheim in den letzten Zügen liegt - und wird nicht zu ihm durchgelassen. Dort haben nur Muslime Zutritt, so der radikale Vorsteher des Ladens, und so muss sich Dharam an seinen Nachbarn wenden, dass dieser ihm den Islam nahe bringt. Dabei lernt er natürlich, dass die Unterschiede - zumindest inhaltlich - viel kleiner sind, als gedacht. Nebenbei deckt er noch das unsaubere Spiel eines Sektenführers auf, dem sein Sohn verfallen ist. Ein heilloses Durcheinander, also.

Und ein bisweilen sehr lustiges. Viel Situationskomik gibt es, Witzchen mit den verschiedenen Kopfbedeckungen, Gebetshaltungen, Riten. Doch man weiß natürlich, was am Ende dabei herauskommt, aus diesem wie auf Autopilot dahinfliegenden Film: wie die Religionen auch immer heißen mögen, letztlich predigen alle nur die Menschlichkeit. Und man solle sich doch vertragen und die Mitmenschlichkeit jedem zukommen lassen, egal wie und an was er glaubt. Das wichtigste sei der Friede in der Familie. Da kann kaum einer widersprechen, denn diese ist ihm im Laufe des Films auseinandergebrochen. Und auch die zu Tränen rührende Abschlußrede, ein großer moralischer Monolog fehlt nicht, um die Message deutlich zu machen. Abgesehen von diesen unvermeidlichen Standardsituationen macht der Film aber dennoch große Freude. Er ist temporeich, die Schauspieler alle durchweg sympathisch, Ahmedabad als Ort der Handlung wird immer wieder mit interessanten Schauplätzen eingeführt. Nicht umsonst spielt der Film gerade hier, ganz im Westen des Landes an der Arabischen  See. Ein sehr sehr dunkles Kapitel tut sich da auf im Zusammenprall der Religionen in der Region Gujarat. Dort, in der Stadt leben etwa 80% Hindus und 20% Moslems, hatten sich 2002 sehr schwere Unruhen (die "Gujarat Riots", das "Gujarat Pogrom") ereignet. Dabei sind laut Wikipedia etwa 800-2000 Muslime und 250 Hindus (je nach Quelle) ums Leben gekommen, weitere Tausende wurden verletzt. Übrigens: Narendra Modis Rolle in diesen Unruhen, viele sind der Ansicht, dass die Massaker absichtlich herbeigeführt wurden, ist noch nicht eindeutig geklärt. Gemeinhin wird angenommen, dass Modi mit für den Genozid verantwortlich zu machen sei, was freilich ein unfassbarer Skandal ist. In der Wikipedia findet sich dabei folgender Eintrag
"Modi's involvement in the 2002 events has continued to be debated. Several scholars have described them as a pogrom, while others have called them state terrorism. Summarising academic views on the subject, Martha Nussbaum said: 'There is by now a broad consensus that the Gujarat violence was a form of ethnic cleansing, that in many ways it was premeditated, and that it was carried out with the complicity of the state government and officers of the law.'"
Narendra Modi ist seit Mai 2014 der aktuelle Premierminister Indiens. Im Film Kai Po Che, den ich hier besprochen habe, werden diese schrecklichen Ereignisse eindrücklich thematisiert.

DHARAM SANKAT MEIN wird allerdings niemals auch nur annähernd so ernst, wie Abhishek Kapoors Film; dennoch merkt man von Beginn an, dass es ein sehr ernstes Thema ist, auf dem diese Komödie fußt. Sie macht es sich nicht leicht, missbraucht das Thema nicht für billige Witzeleien und in so kleinen Bemerkungen, wie denen, ob es dem Anwalt überhaupt gestattet werden sollte, in diesem Viertel zu leben, wird es schon sehr deutlich, wie tief die Gräben sind, die wir uns hier in Europa überhaupt nicht vorstellen können. Eine gelungene Komödie vor ernstem Hintergrund also, so mein Fazit, die sich in ihren Drehbuchabläufen etwas zu sehr auf ausgetretenen Pfaden bewegt und ruhig etwas mutiger und individueller hätte ausfallen dürfen. Die Halbwertszeit des Filmes wird, vermutlich, nicht besonders lange ausfallen. Das ist eigentlich schade für einen handwerklich so sauber gemachten Film.

Michael Schleeh

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal...

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

The Barefooted Youth / 맨발의 청춘 / Maenbale-ui cheongchun (Kim Ki-deok, Südkorea 1964)

" I am just a street thug with no skills whatsoever! " (Doo-soo) Der Straßendieb Jo Doo-soo (Shin Seong-il) lebt in einem ärmlichen Stadtviertel und erledigt niedrige Jobs für einen lokalen Bandenchef. Bei einem Auftrag gerät er in einen Raubübefall: ein paar Gauner beklauen und bedrängen zwei unschuldige Mädchen auf ihrem Weg durch die Stadt. Doo-Soo geht dazwischen und sieht sich plötzlich mit den Anführer in einen Messerkampf  verwickelt. Er kann ihn zwar besiegen, wird dabei aber selbst verwundet. Als anschließend eines der Mädchen zu einem Krankenbesuch vorbeikommt um sich für die Hilfe persönlich zu bedanken, scheinen sich die beiden auf Anhieb sehr gut zu verstehen. Doo-soo und die Diplomatentochter Joanna (Eom Aeng-ran) verlieben sich schließlich in einander und müssen sich gegen die Anfeindungen der Umwelt durchsetzen - sowohl was die Gangsterorganisation betrifft, der er angehört (sein Boss sieht aus wie ein koreanischer Edward G. Robinson), als auch gege...