Man könnte natürlich ganz salopp und irgendwie provokant zum Besten geben, dass PIKU ein Film über Amitabh Bachchans Verdauung ist - schiebt er doch einen riesigen, angeschwollenen Bauch durch den ganzen Film und hat es sich als Hypochonder ganz gut eingerichtet. Ganz falsch liegt man damit nicht, und vielleicht sagt das auch etwas über den Starstatus gewisser Leute im indischen Kino aus. Er hat z.B. mit über 16 Millionen zwei Millionen mehr Follower auf Twitter als Shah Rukh Khan und zehn Millionen mehr als Tom Cruise. Aber eigentlich ist das Nicht-aufs-Klo-Können natürlich nur der Aufhänger, Dreh- und Angelpunkt für eine Komödie der autoritären Familienkonflikte, für ein Drama, in dem verschiedene Figuren Dinge lernen, ein Einsehen haben, vielleicht umdenken irgendwann.
Der Impuls kommt wie so oft (und schematisch) von außen: der Betreiber eines Taxiunternehmens (Irrfan Khan) treibt dem streitlustigen Alten (Amitabh Bachchan) den bengalischen Standesdünkel aus und empfiehlt sich so zugleich als eventueller Schwiegersohn für die Tochter, Architektin ihrerseits, die immerzu sehr auf Zack ist (nicht weniger großartig: eine herrische Deepika Padukone). Die drei Hauptdarsteller haben eine atemberaubende Dynamik miteinander, das ist alles tadellos gespielt und großartig inszeniert, mit lauten, schnellen Duellen und versteckten Blicken.
Im ersten Drittel sind die Wortgefechte allerdings so rasant geschnitten, dass man tatsächlich Mühe hat, überhaupt die Untertitel mitlesen zu können. Die Montage ist so dermaßen rasend, dass dem Zuschauer, der auf Untertitel angewiesen ist, manchmal das Filmbild flöten geht. Das ist ein bisschen schade, wird aber später besser, wenn das "Stilmittel Wortgefecht" etabliert ist und man weiß, wie sich die Protagonisten mit immer neu gefundenen Argumenten das letzte bisschen Nerv rauben. Für den Zuschauer ist das alles höchst unterhaltsam, die Szenen sind perfekt getimet, PIKU hat den ganzen Film über sowieso keinen einzigen Durchhänger.
Natürlich findet sich dann auch in PIKU das Derivat eines Liebesfilms, denn immerhin ist die Protagonistin schon 30 Jahre alt, und, wie der Vater gerne zum Besten gibt, beileibe keine Jungfrau mehr. Seitenhiebe auf standardisierte Bollywood-Themen finden sich zuhauf, Ironisierungen in großer Zahl. Etwa wenn der Vater gar nicht will, dass die Tochter heiratet, weil sich dann keiner mehr um ihn kümmert. Der Film aber baut Irrfan natürlich als möglichen Partner für Deepika auf, als Kontrahent zum Anwärter aus ihrem Büro, einem braven Unterstützer, der schnell überfordert ist, ebenfalls an Verdauungsproblemen leidet und somit ausscheidet als möglicher Kandidat. Unsexy. Ansonsten jongliert der Film noch mehrere Nebenerzählungen, vor allem was die Familiengeschichte angeht. Hier wird ein moderner Utilitarismus einem klassischen Bewahren von Traditionen gegenüber gestellt, und Deepika, die erfolgreiche Businessfrau aus New Delhi, muss entscheiden, ob sie dem Ruf ihrer bengalischen Wurzeln folgt. Das ist vom Drehbuch her manchmal etwas schematisch, aber dennoch höchst unterhaltsam. Und es gibt ja immer noch Irrfan, den verzweifelten Kopfschüttler, der sich das familiäre Desaster als Stellvertreter des Publikums von außen anschaut. Und sich entscheiden muss, ob er da wirklich ganz hinein will.
Michael Schleeh
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