Was sich in der Jugend wie ein romantisches, zartes, sanft heranschwebendes Gefühl der Schwärmerei anfühlt, kann Jahre später in eine echte Obsession umschlagen. So ist der Protagonist dieses Films, der Künstler Noor (Aditya Kapoor), von der schönen Erbin des hochherrschaftlichen Familienclans Firdaus (Katrina Kaif) verzaubert. Als Kind durfte er sich als Stallbursche ein kleines Zubrot verdienen, und konnte ihr dadurch nahe sein. Doch als die Kinder erwachsen werden, ändert sich alles. Firdaus geht nach London, wird Designerin, und die Erinnerung an Noor verblasst. Doch Noor kann sie nicht vergessen. Auch später nicht, als er in Delhi ein Stipendium bekommt und als Wunderkind der bildenden Künste durch die High-End-Galerien gereicht wird.
Der Hindi-Film FITOOR ist eine Adaption von Charles Dickens' Roman Great Expectations, verlegt in die Schönheit des ländlichen Kaschmirs im Norden Indiens. Die schneebedeckten Berge im Hintergrund und die Holzhäuser auf Stelzen im Dal-See östlich der Stadt Srinagar sind der atemberaubende Schauplatz dieses historischen Kostüm-Liebesfilms. Zumindest eines Teils. Hier herrscht die Mutter von Firdaus, die autoritäre Begum Hazrat (irre toll gespielt von Tabu), die an der Schwelle zum Wahnsinn stehende Oligarchin. Sie hat einen Narren an Noor gefressen und unterstützt nun seine künstlerischen Ambitionen.
Der Film zerfällt jedoch in zwei Teile, die sich an den geographischen Schauplätzen ausrichten. In Delhi angekommen, befinden wir uns mitten in einer Bollywood-Hochglanzproduktion, die nichts mehr mit dem Mysterium der Kaschmir-Episoden gemein hat. Hier regiert die Oberfläche, und so ist es auch nicht verwunderlich, dass nun das Leben Noors, der immer ein wenig wehmütig dreinblickende Aditya Kapoor, von schnellen Autos, gestylten Frauen, Galerien aus Stahlbeton und Wolkenkratzer-Büros bestimmt wird. Denn auch als Künstler geht er durch die Decke und ist der heißeste Scheiß. Es gibt dann eine grotesk absurde Szene, in der er oberkörperfrei an einem neuen Objekt arbeitet und plötzlich Firdaus hereinkommt. Beim Anblick seines Körpers, des gestählten Torsos mit six-pack und 0% body fat, verschlägt es der Schönen den Atem. Und sie überlegt sich noch einmal, ob es eine so gute Idee ist, den Minister zu heiraten, den sie in London an der Angel hat.
Man ahnt es bereits, der darauffolgende Liebeskonflikt ist das eigentliche Thema des Films. Eines Films, der mitunter so unerträglich ist, dass man nicht weiß, wohin schauen. So nett die erste halbe Stunde ist, Kaschmir, die Kinderdarsteller, der fallende Schnee über dem See, so schrecklich ist er ab dem Moment, wenn die eigentlichen Hauptdarsteller auftreten. Sie wollen so gar nicht in ihre Rollen passen, die sie ausfüllen sollen. Besonders Katrina Kaif ist völlig fehlbesetzt. Außer einem Augenaufschlag kann sie ihrer Rolle keine Tiefe geben, ihre Figur ist ein völlig lebloses Abziehbild moderner Konsumgüterindustrie.
Wäre da nicht Tabu in der Rolle der Miss Havisham, die den gesamten Film als the witch of the place zusammenhält, man würde diesen ganzen zusammengepantschten Emotionalitätenquatsch kaum ertragen können. Für Momente, wenn die Kamera durch das herrschaftlich stille Haus gleitet und der Staub in der Luft steht, Tabu in rotem Licht die Galerie herabschreitet, dann hat man den Eindruck, dass hier jemand einen guten Film machen will. Der Rest aber wirkt nur wie viel zu oft gesehene Versatzstücke, aneinander geklebt.
Michael Schleeh
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