Direkt zum Hauptbereich

Apprentice ~ Tu Xing (Boo Junfeng, Singapur 2016)


 
Boo Junfengs indonesisches Drama Apprentice aka. Tu Xing (2016) ist ein reduzierter, auf kleiner Flamme köchelnder slow-cinema Gefängnis-Film, der mit der Zeit aus seinem Inneren heraus eine mächtig bedrohliche Spannung aufbaut.

 Das liegt einerseits daran, dass im Verlauf der Handlung noch mindestens zwei bis drei weitere, tieferliegende Schichten an die Oberfläche drängen, die für Konflikte sorgen. Andererseits steigt der Druck, der auf der Hauptfigur namens Aiman (Fir Rahman) lastet, enorm an. Er spielt seine Rolle mit großer Selbstbeherrschung, die seine Gefühle unterdrückt. Dass er jemand ist, der zu Gewalt neigt, sieht man zwar nie im Film selbst, doch ergibt sich das aus seiner Biographie: Sohn eines Drogendealers, Mitglied einer Jugendbande, später selber Pusher. Man wartet geradezu darauf, dass Aiman explodiert.

 In diesem Film hat man es also mit einer anderen Perspektive wie sonst so häufig zu tun: nicht die Insassen stehen im Zentrum des Interesses, sondern er ist aus der Sicht des Wärters gedreht - eines Vollstreckers mit dem Strick. Denn in Singapur gibt es - bekanntlich - noch die Todesstrafe. Und so gerät Aiman bald in eine Zwickmühle, als ihm der Job als apprentice des chief executioners angeboten wird. Dass Aiman noch eine persönliche Rechnung mit ihm offen haben könnte, dämmert ihm erst später im Film.

 In einem Nebenhandlungs-Erzählstrang geht es noch um seine Schwester Suheila, die einen australischen Verehrer geangelt hat. Dieser will sie alsbald ehelichen, weshalb die Schwester an die Ausreise nach Australien denkt. Aiman verschließt sich dieser Entwicklung vollkommen, würde sie ihn doch völlig auf sich selbst zurückwerfen. Die Familie ist zerbrochen. Der Vater tot, die Mutter durch Krankheit verstorben. Die Schwester weg. Aiman ist sozial genauso isoliert, wie die Gefangenen, die in ihren Zellen hocken und auf Nachricht von der Familie warten. So oft Aiman auch auf sein Mobiltelefon schaut - es will kein Anruf kommen.
 
 Dass der Film auch wie nebenbei die moralische Frage nach der Todesstrafe verhandelt, muss beinahe gar nicht mehr erwähnt werden. In einzelnen Gesprächen zwischen den Wärtern, im Zusammensein mit den Angehörigen, im Leid, das überall entsteht - der Film stellt immer wieder die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Urteils und nach dem gesellschaftlichen Nutzen - dabei aber, ohne didaktisch zu werden.

 Apprentice lief 2016 in Cannes in der Sektion Un Certain Regard und war 2017 die offizielle Einreichung Singapurs für den Auslands-Oscar. Ein ruhiger und zugleich hochspannender, wie auch moralisch komplexer slow-cinema-Film südostasiatischer Provenienz und Durchschlagskraft. Sehr sehenswert.

Michael Schleeh

***
 

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

Eighteen Years, to the Sea / 十八歳、海へ (Toshiya Fujita, Japan 1979)

 Toshiya Fujita (Regisseur von z.B. den LADY SNOWBLOOD-Filmen oder STRAY CAT ROCK: WILD JUMBO ) liefert hier einen typischen japanischen End-70er-Jahre Genrebeitrag ab, in dem sich "Junge Wilde" in ihrem ganzen übersatten Ennui dermaßen anöden, dass sie auch mal dieses Ding mit dem Doppel-Liebestod ausprobieren wollen. Existenziellere Nöte gibt es kaum, sie sind sogar in ihrer Abschlußklasse ganz vorne auf der Liste. Die Eltern haben alle Geld, aber man kann es sich leisten, es nicht annehmen zu wollen.  Also geht man in Kamakura ins Meer, legt sich mit einer Bikergang an, nimmt Schlaftabletten (aber immer nur eine) und erhängt sich zum Spaß mit einem Seil, das schon ganz verrottet ist und auf jeden Fall reißt.  Ansonsten gibt es viel unbeholfenen Sex, der schnell in Gewalt ausartet, einmal auch in eine (fürs Genre obligatorische) Vergewaltigung, an deren Ende das Opfer den Täter sogar noch bittet, sich zukünftig um die Schwester zu kümmern.  Es ist alles wunderbar a...

House Owner (2019) ‘ஹவுஸ் ஓனர்’ (directed by Lakshmi Ramakrishnan)

 Während der Regenzeit in Chennai geht ein zurückgezogen lebendes, älteres Ehepaar durch turbulente Zeiten. Anstatt sich den Lebensabend zu versüßen, sind sie in einer endlosen Spirale der Beziehungshölle gefangen - und zwar deswegen, weil der Ehemann an Alzheimer erkrankt ist. In dieser schwierigen Situation managt die Ehefrau den gesamten Haushalt - aber nicht nur das. Sie kümmert sich freilich um alles und erträgt auch die ruppige Art des ehemaligen Armeegenerals, der sich seiner eigenen Krankheit nicht bewußt ist. Die Schärfe in der Stimme, den ehemaligen Kasernenhof-Ton, hat er leider aber nicht vergessen.    Sriranjini ist dann auch die heimliche Protagonistin und generell die Hauptfigur in diesem aufs Nötigste reduzierten Drama, die alles überstrahlt - und sie meistert die Rolle großartig. Immer wieder bricht der Film aus der aktuellen Zeitschiene aus und springt hinüber auf eine andere, vergangene. Sie zeigt, wie es früher war. Wie sich die beiden kennenlernten...