Direkt zum Hauptbereich

Zerstörte Jugend: Naachiyaar von Bala (Indien, 2018)


 Ganz zu Beginn von Balas tamilischem gar nicht so alltäglichem Alltagsdrama Naachiyaar kommt es zu einer Verfolgungsjagd, die symbolhaft für den Film stehen könnte. Der junge Kaathu rennt vor seinen Verfolgern davon. Die Polizei ist ihm auf den Fersen. Sie glauben, er habe sich an der noch minderjährigen Arasi vergangen, weshalb diese nun schwanger ist. Da er ein einfacher Tagelöhner ist und sowieso Hals über Kopf verliebt, ist er dann aber bereit, auch diese Unwahrheit zu gestehen. Dass das Opfer selbst behauptet, er sei ein lieber Junge und habe ihr nichts angetan, interessiert die Polizisten wenig. Allen voran die Kommissarin Naachiyar, die sich dem Mädchen angenommen hat. Doch dann belegt eine DNA-Probe, dass Kaathu nicht der Vater sein kann. Was ist also überhaupt passiert? Und für die beiden Liebenden bricht eine Welt zusammen.

 In einem langen Flashback erzählt Bala dann den Hergang der Geschichte, so wie sie eigentlich war. Und nebenbei auch von der Liebesgeschichte, wie sich alles entwickelt hatte. Interessant ist dabei, dass sich das eigentliche Ereignis, die vorgebliche Vergewaltigung, hinter einem Filmschnitt verbirgt. Da die beiden einmal ganz impulsiv bei einer heimlichen Küsserei von der Leidenschaft überwältigt werden, gehen beide davon aus, dass dies der Moment gewesen sein müsse, in dem der Sohn gezeugt wurde. Im Hintergrund aber lauert ein mächtiger Mann und seine Begierden, dem Naachiyaar schließlich auf die Spur kommt. Der eigentliche Vergewaltiger und Vater des Kindes.

 Das alles aber ist zugleich auch eine Folie für die Abbildung der problematischen sozialen Zustände der südindischen Gesellschaft. In der mächtige und finanzstarke Herrenmenschen die Armut der vielen Mittellosen ausnutzen um sie sich gefügig machen. Der Graben zwischen Arm und Reich muss riesig sein, und die korrupte Maschinerie, die alles am Laufen hält, verdient gut daran. Bala legt auch mit diesem Film - erneut - den Finger auf die Wunde, und kommt ganz ohne Masala-Eskapismus aus.

 Hier gibt es nur einen einzigen Song, der kurz angestimmt wird, und auch ansonsten ist der Film ausnehmend konsequent düster. Er ist dabei weniger brutal als bisherige Werke (also besser verdaulich), und auch weniger wahnsinnig. Naachiyaar ist ein relativ zahmer Film für Balas Verhältnisse, und auch kein besonders schöner. Leider. Die Kameraarbeit ist allenfalls durchschnittlich, oft auch nur auf TV-Niveau. Der Schnitt ist holprig, und die Schauspieler sind ihren Rollen kaum gewachsen. Das Skript wirkt arg zusammengewürfelt und die Erzählbögen werden immerzu von allerlei Minimalerzählfäden sabotiert. Das führt zu Verdruß beim Zuschauer, und leider auch zu Langeweile, bei einer Lauflänge von gerade mal 100 Minuten. 

 Naachiyar ist ein Film, der viel will, vor allem sich engagieren, seine Ausführung ist aber sehr schludrig geraten. Möglicherweise ein guter Einstieg in sein Werk, aber ganz sicher kein besonders guter Film von einem der interessantesten zeitgenössischen Regisseure.

Michael Schleeh

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

House Owner (2019) ‘ஹவுஸ் ஓனர்’ (directed by Lakshmi Ramakrishnan)

 Während der Regenzeit in Chennai geht ein zurückgezogen lebendes, älteres Ehepaar durch turbulente Zeiten. Anstatt sich den Lebensabend zu versüßen, sind sie in einer endlosen Spirale der Beziehungshölle gefangen - und zwar deswegen, weil der Ehemann an Alzheimer erkrankt ist. In dieser schwierigen Situation managt die Ehefrau den gesamten Haushalt - aber nicht nur das. Sie kümmert sich freilich um alles und erträgt auch die ruppige Art des ehemaligen Armeegenerals, der sich seiner eigenen Krankheit nicht bewußt ist. Die Schärfe in der Stimme, den ehemaligen Kasernenhof-Ton, hat er leider aber nicht vergessen.    Sriranjini ist dann auch die heimliche Protagonistin und generell die Hauptfigur in diesem aufs Nötigste reduzierten Drama, die alles überstrahlt - und sie meistert die Rolle großartig. Immer wieder bricht der Film aus der aktuellen Zeitschiene aus und springt hinüber auf eine andere, vergangene. Sie zeigt, wie es früher war. Wie sich die beiden kennenlernten...

Thittam Irandu (2021) ‘திட்டம் இரண்டு’ Directed by Vignesh Karthik

Thittam Irandu is a south Indian Tamil police procedural mixed with a nice love story that turns sour as the female detective investigates in a murder case and consecutively digs into the life of her new boyfriend . It is a very dark and atmospheric police procedural, with a hefty overstuffed script - but also with too many fade outs and accumulated scenes that make it almost impossible to find an organic flow in the long  run. It's getting quite annoying as it loses its 'natural rhythm' further down the road, if there's anything like that in filmmaking. Thittam Irandu could have been a lot better aswell with a little more effort especially in the sound department for there are endless repetitions of filler music. Wouldn't have been bad if it took care of the endless plot meanderings at the end aswell. But, there's good acting throughout, so I won't complain too much. Thittam Irandu is enjoyable for most of the running time, even though it starts to dra...