Direkt zum Hauptbereich

Proletarische Literatur: DAS FABRIKSCHIFF von Takiji Kobayashi (1929)


 Takiji Kobayashis Klassiker der japanischen Arbeiterliteratur Das Fabrikschiff ist ein überwältigender Kurzroman von niederschmetternder sozialhistorischer Wucht, der den ausbeuterischen und rücksichtslosen japanischen Kapitalismus in seiner Extremform beschreibt - er schildert auf häufig derbe und drastische Weise die katastrophalen Zustände auf einem Krabbenfangschiff im ochotskischen Meer nördlich von Hokkaido.

Der durchweg spannende Roman ist dabei kein politisches und agitatorisches Manifest, sondern ein geradezu saftiger und spektakulärer Erlebnisbericht von den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und Zuständen auf dem Kutter, "unter dem Kommando von Teufeln in Menschengestalt". Das betrifft sowohl die Abläufe des Arbeitsalltags, wie auch das soziale Gefüge unter den Seemännern und deren Vorgesetzten. Jenseits eines sich stets vom Pöbel fernhaltenden Kapitäns, der sich stets in Völlerei ergeht und seiner Verantwortung nicht nachkommt, hat es vor allem der besonders skrupellose Vorarbeiter Asagawa geschafft, sich ins Bewußtsein des Lesers einzubrennen, der mit unzähligen Schikanen, Bestrafungsaktionen und Schlägen die Mannschaft sich gefügig macht und sie bei Arbeitslaune hält. Auch wenn es schon lange nichts mehr zu Fressen gibt und man bei rauer See in den sicheren Tod steuert.
  
Asagawas Wut kannte keine Grenzen. Er schlug beim geringfügigsten Anlass auf die Arbeiter ein, so dass häufig aus ihrer Mitte heraus laute Schmerzensschreie zu hören waren. Sie schauten dann einander an und arbeiteten stumm und verbissen weiter.

 Der äußerst plastische Bericht von unter Deck, das von den Fischern "das Jauchefass" genannt wird,  also quasi direkt aus den mit Läusen und Ungeziefer verseuchten Kojen heraus, fügt sich zu einem literarischen Untergangsszenario, wie man es selten gelesen hat. Dabei verdichtet sich der Roman bisweilen zu einem Kammerspiel, der die räumliche Enge wie eine Hochdruckkammer beschreibt, die jeden Moment explodieren kann. Vor allem im späteren Verlauf des Textes, als der Unmut der Arbeiter so weit angeschwollen ist, dass man sich gegen die Verhältnisse aufzulehnen beginnt. Der Autor lässt keinen Zweifel daran, dass das Aufbegehren gegen die Obrigkeit aus Notwehr geschieht. Es steht nichts weniger als das eigene Leben auf dem Spiel.


Der Kapitän klopfte die Asche seiner Zigarre ab, deren Goldmundstück zwischen seinen feisten Fingern glänzte. Sein Körper zeigte Fettansatz. Wie eine Matrone saß er da und lächelte hilflos. Ihm war unbehaglich zumute, wenn er daran dachte, wie Asagawa mit den Leuten umging. Konnten sie nicht vor Wut einmal auf den Gedanken kommen, ihn über Bord zu werfen?

 Auch wenn mir das Ende etwas zu schnell abgehandelt wurde und beinahe unspektakulär daherkam, so muss es doch, wie der Roman als Ganzes, eine ungeheure Sprengkraft in sich getragen haben, denn dieser wurde in Japan direkt nach Erscheinen verboten. Sein Autor, der als einer der Hauptvertreter der proletarischen Literatur seines Landes gilt, musste abtauchen und wurde ein Jahr später, nun auch Mitglied der Kommunistischen Partei Japans, von einem Spitzel verraten und wurde dann in Tokyo von der Geheimpolizei zu Tode gefoltert. So geht die Legende, und so wird es auch gewesen sein. Unbedingt lesenswert!

Michael Schleeh

***

Der Roman ist direkt beim cass Verlag erhältlich (portofrei). 
Beide obigen Zitate stammen von Seite 48. 
Original-Titel: Kani-kôsen, 1929
cass-Verlag, Erste Auflage: 2012
112 Seiten, Klappenbroschur.
Von diesem Roman gibt es bislang auch zwei Verfilmungen:
1953 von Sô Yamamura und 
2009 von Sabu (Hiroyuki Tanaka). Hier meine Besprechung des Films.

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

House Owner (2019) ‘ஹவுஸ் ஓனர்’ (directed by Lakshmi Ramakrishnan)

 Während der Regenzeit in Chennai geht ein zurückgezogen lebendes, älteres Ehepaar durch turbulente Zeiten. Anstatt sich den Lebensabend zu versüßen, sind sie in einer endlosen Spirale der Beziehungshölle gefangen - und zwar deswegen, weil der Ehemann an Alzheimer erkrankt ist. In dieser schwierigen Situation managt die Ehefrau den gesamten Haushalt - aber nicht nur das. Sie kümmert sich freilich um alles und erträgt auch die ruppige Art des ehemaligen Armeegenerals, der sich seiner eigenen Krankheit nicht bewußt ist. Die Schärfe in der Stimme, den ehemaligen Kasernenhof-Ton, hat er leider aber nicht vergessen.    Sriranjini ist dann auch die heimliche Protagonistin und generell die Hauptfigur in diesem aufs Nötigste reduzierten Drama, die alles überstrahlt - und sie meistert die Rolle großartig. Immer wieder bricht der Film aus der aktuellen Zeitschiene aus und springt hinüber auf eine andere, vergangene. Sie zeigt, wie es früher war. Wie sich die beiden kennenlernten...

Thittam Irandu (2021) ‘திட்டம் இரண்டு’ Directed by Vignesh Karthik

Thittam Irandu is a south Indian Tamil police procedural mixed with a nice love story that turns sour as the female detective investigates in a murder case and consecutively digs into the life of her new boyfriend . It is a very dark and atmospheric police procedural, with a hefty overstuffed script - but also with too many fade outs and accumulated scenes that make it almost impossible to find an organic flow in the long  run. It's getting quite annoying as it loses its 'natural rhythm' further down the road, if there's anything like that in filmmaking. Thittam Irandu could have been a lot better aswell with a little more effort especially in the sound department for there are endless repetitions of filler music. Wouldn't have been bad if it took care of the endless plot meanderings at the end aswell. But, there's good acting throughout, so I won't complain too much. Thittam Irandu is enjoyable for most of the running time, even though it starts to dra...